FSJ-Erfahrungsbericht von Emma
„Ich heiße Emma, bin 18 Jahre alt und komme ursprünglich aus Dresden…“ Eine Freiwillige von EOS hat uns einen FSJ-Erfahrungsbericht über ihre Zeit in Frankreich geschickt. Sie erzählt ein bisschen was über die Stadt Toulouse an sich und natürlich über die Einsatzstelle und ihre Arbeit dort. Vielen Dank Emma!
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Zwischenbericht: L’Arche en pays toulousain – Emma Bokern
Hallo zusammen,
Ich heiße Emma, bin 18 Jahre alt und komme ursprünglich aus Dresden. Seit September, also seit knapp 6 Monaten lebe ich jetzt allerdings in Toulouse.
Diese wunderschöne Studentenstadt liegt im Südwesten Frankreichs, zwischen Montpellier und Bordeaux.
Die Lage ist wirklich genial, in nur 2 Stunden ist man am Mittelmeer, am Atlantik oder in den Pyrenäen und es gibt viele tolle Städte in der Nähe wie die bereits genannten, Albi
oder Carcassonne (das kennen bestimmt einige vom Spiel).
Auch in Spanien ist man super schnell, wovon ich jetzt aufgrund der Corona-
Situation allerdings noch nicht so profitieren konnte – aber dafür bleibt mir ja noch ein weiteres halbes Jahr.
Nun aber erstmal zu meiner Einsatzstelle:
Untergebracht bin ich in einer Arche-Gemeinschaft. Das Prinzip der Archen (L’Arche) kommt ursprünglich aus Frankreich, weshalb es hier im Grunde in jeder größeren Stadt eine
Gemeinschaft gibt; inzwischen gibt es aber Archen auf der ganzen Welt, von Kanada über Spanien bis Australien.
Die Grundidee ist, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung (ich werde sie im Folgenden „Personen“ nennen, weil das hier so üblich ist) in sogenannten
„Foyers“ (Häusern) mit (internationalen) Assistenten und Freiwilligen zusammen leben. Dementsprechend haben fast alle Assistenten ein Zimmer im Foyer, sprich wir
wohnen hier in einer Art kunterbunten Riesen-WG.
Das hat natürlich sowohl Vor- als auch Nachteile.
Einerseits ist es toll, immer von Menschen umgeben zu sein, die sich freuen dich zu sehen.
Außerdem arbeiten wir abends immer sehr lange, sodass es schon etwas Praktisches hat, nach der Arbeit einfach in sein Zimmer gehen zu können und nicht noch nach Hause fahren zu müssen.
Andererseits kann es auch echt anstrengend sein, mit 12 Personen zusammenzuwohnen. Du bist einfach nie alleine, nicht mal an deinen freien Tagen.
Wenn du an diesen beispielsweise kochen willst, ist immer noch jemand anderes in der Küche, wodurch man manchmal das Gefühl
bekommt, man habe gar nicht richtig frei, weil man ja trotzdem ständig noch von den Personen umgeben ist.
Ich muss zugeben, dass ich mit der Zeit immer mehr das Bedürfnis bekomme, Wohnen und Arbeiten zu trennen. Gerade jetzt während des Zwischenseminars sind Annika – eine der
anderen EOS-Freiwilligen – und ich in dem Freiwilligenhaus der Arche untergebracht und kochen jeden Tag zusammen mit den anderen deutschen Freiwilligen, frühstücken, gehen spazieren
und diskutieren bis tief in die Nacht. Es wäre schon richtig cool, wenn wir in einer WG zusammen wohnen würden, wie es die meisten Freiwilligen von EOS ja tun und das dann immer so wäre.
Aber das ist nun mal nicht das Prinzip der Arche und das ist
auch okay.
Was dafür auf jeden Fall unschlagbar in der Arche ist (außer das Essen), ist die Freundlichkeit und Herzlichkeit, mit der du aufgenommen wirst.
Dadurch hatte ich 0,0 Probleme, mich hier einzuleben und war nur auf Wolke 7 in den ersten 1-2 Monaten.
Mein Alltag sieht wie folgt aus:
Morgens beginne ich 4x die Woche um 9 oder 10 Uhr, einmal mache ich das Wecken um 7 Uhr.
Vormittags arbeiten die Personen – je nach Grad der Beeinträchtigung – in verschiedenen Ateliers.
Während sie dort sind, stehen für uns Freiwillige Haushaltsaufgaben wie saugen, wischen, einkaufen oder Wäsche machen an. Dazu kommen verschiedene Ausbildungen oder Besprechungen.
So haben alle Freiwilligen jeden Dienstagvormittag eine 2-2,5 stündige Formation (Ausbildung) zu verschiedensten Themen wie beispielsweise Autismus oder Sexualität unter
Menschen mit geistiger Behinderung.
Mittwochvormittags haben wir immer eine Réunion d’équipe, also eine Besprechung mit allen Assistenten/Freiwilligen aus unserem Foyer, wo verschiedenste Probleme thematisiert werden. Freitagvormittag sind einige der Personen vormittags im Foyer, sodass wir mit ihnen basteln, einkaufen oder backen.
Gegen 12:30 finden sich dann theoretisch alle im Restaurant der Arche ein, wo einem ein fantastisches 3-Gänge-Menü serviert wird, was man dann in 1-1,5 Stunden zu sich nimmt
(klassisch französisch eben :D).
Praktisch sieht das Ganze jedoch im Moment etwas anders aus: im Restaurant dürfen durch Corona seit Oktober nur noch diejenigen essen, die im Büro arbeiten, extern sind oder in dem
Foyer wohnen, das etwas außerhalb liegt. Der Rest isst in den Foyers, um die Kontakte – gerade beim Essen, wo natürlich keine Maske getragen wird – einzuschränken.
Das ist natürlich sehr sinnvoll, aber wirklich schade, weil man so kaum noch Kontakt zu Personen außerhalb des eigenen Foyers hat. (Und außerdem haben wir so nicht nur abends einen riesigen
Berg an Abwasch, sondern auch mittags, yuhuuuu).
Nach dem Mittagessen gehen die Personen zurück zu ihrer Arbeit; in dieser Zeit haben alle Assistenten dann 3h Pause.
17 Uhr kommen die Personen zurück ins Foyer und alle unterhalten sich bei einer Tasse Tee und Kuchen, Schoko oder Früchten über Gott und die Welt.
Nach diesem sogenannten „goûter“ spielen wir Gesellschaftsspiele oder lesen gemeinsam, einige Personen gehen aber auch auf ihr Zimmer und hören Musik, fahren Fahrrad oder beschäftigen sich anders selbst.
Gegen 18:00 beginnen die, die an dem Tag mit Kochen dran sind, das Essen vorzubereiten. Bei uns hat nämlich jeder Assistent einen festen Kochtag, an dem er mit einer festen Person
zusammen kocht. Bei mir ist das beispielsweise Samstagabend; das macht echt immer super viel Spaß, wir hören dabei Musik, quatschen und meistens kommen mit der Zeit dann noch weitere
Personen in die Küche, helfen beim Gemüse schneiden, tanzen, singen und machen einfach gute Stimmung.
Nach dem Abendessen wird dann nochmal ein Tee getrunken, geredet, gespielt, gelesen oder am Wochenende auch häufig ein Film geschaut – je nachdem, worauf die Personen Lust haben.
Gegen 22:00 gehen die Personen ins Bett und manchmal bleiben wir Freiwilligen/Assistenten dann noch ein bisschen sitzen und trinken ein Glas Wein. (Wir sind hier ja immerhin in
Frankreich!). Wobei ich sagen muss, dass wir das vor allem am Anfang viel gemacht haben. Inzwischen merke ich oft, dass ich die doch sehr begrenzte freie Zeit für mich selbst brauche.
Dazu sollte vielleicht gesagt werden, dass wir 48h die Woche arbeiten, also knapp 10h pro Tag. Natürlich beinhaltet unsere Arbeit auch essen und spielen, aber dennoch ist man 10 Stunden pro
Tag von wirklich vielen Menschen umgeben, wo es – denke ich – ganz natürlich ist, dann auch mal den Wunsch zu haben, allein zu sein.
An den Wochenenden gehen einige Personen in ihre Familien; mit denen, die da bleiben, machen wir ab und zu Ausflüge in nahegelegene Dörfer oder auch mal in die Pyrenäen. Letztes
Wochenende waren wir zum Beispiel in einem neugegründeten Dorf ca. 35km von Toulouse entfernt. Das war an sich nicht wahnsinnig spektakulär, aber es war total schön, mal wieder mit
den Personen aus dem Foyer rauszukommen, weil wir wegen Corona nicht mehr so viele Aktivitäten (z.B. Bowling) machen. Dafür versuchen wir, uns immer wieder neue Ideen im Foyer
einfallen zu lassen, wie beispielsweise Karaoke-, Tanz- oder Themenabende.
Was wirklich toll an der Arche ist – das war übrigens auch ein Grund, weshalb ich mich dafür entschieden habe – ist, dass es so viele junge Leute gibt. So sind wir insgesamt 10 Freiwillige (pro
Foyer 3 und dann noch einen, der in einem Atelier arbeitet). Aber auch die restlichen Assistenten, die hier festangestellt sind, sind alle super jung, im Schnitt vielleicht so 26 Jahre. Dadurch stehen
die Chancen echt gut, dass man sich mit vielen gut versteht und ich muss sagen, dass die Menschen hier tatsächlich überdurchschnittlich nett sind.
Nur mit den französischen Freiwilligen ist es dieses Jahr leider etwas schwierig… wir 4 Deutschen verstehen uns super, aber mit den restlichen Freiwilligen ist es häufig etwas anstrengend, sodass wir in unserer Freizeit dann eher Sachen untereinander unternehmen.
Hier ein paar meiner Highlights aus dem letzten halben Jahr:
– Die legendären Arche-Feiern – allein dafür lohnt sich ein Auslandsjahr hier schon!
– Die Adventszeit, in der man jeden Tag kleine Komplimente- Zettelchen an andere Menschen aus der Arche geschrieben
hat, die derjenige am Ende der Adventszeit bei einer großen Lichterfeier in einem Briefumschlag übergeben bekommen hat
Insgesamt bin ich super zufrieden mit meiner Einsatzstelle und würde trotz der ein oder anderen Schwierigkeit nicht tauschen wollen.
Vor allem, weil all das Schwierigkeiten sind, an denen ich jetzt schon gewachsen bin und noch weiter wachsen werde – das hoffe ich zumindest!
Wer bereit ist, sich in seinem FSJ maximal der Einsatzstelle hinzugeben, dem kann ich die Arche absolut ans Herz legen. Wer allerdings sehr viel Wert auf Freizeit legt und noch ganz viel
nebenbei machen will (Sportverein, Musik,…) oder sehr viel Zeit für sich braucht, dem würde ich eher von der Stelle abraten, weil man hier einfach nicht besonders viel Freizeit hat.
Ich hoffe, dieser Bericht war hilfreich und hat einen guten Einblick in das Arche-Leben gegeben